Viele Fragen - viele Anworten
... und manchmal wird es kompliziert
Auf
eine wunderbare offene und breite Resonanz stieß während der
interkulturellen Woche das Angebot der israelitischen Kultusgemeinde
in Baden-Baden, das heutige Leben der Juden in der Stadt, ihre
Religion und ihren Alltag kennenzulernen.
Das Bündnis „Baden-Baden ist bunt“ gab im Rahmen
der stadtweiten Aktion „Baden-Baden liest ein Buch“ den Anstoß,
und die Kultusgemeinde griff die Idee sofort begeistert auf. Rabbiner
Daniel Naftoli Surovtsev und seine umtriebige Büroleiterin Irina Grinberg
machten sich umgehend an die Vorbereitungen, und man stieß überall
in der Stadt auf offene Türen: Die Philharmonie ermöglichte mit dem
„Trio Brahms Plus“ einen wunderbaren musikalischen Rahmen des
Abends,
das Kurhaus genehmigte das Aufstellen einer Laubhütte mitten in den
Kolonnaden (zum ersten Mal!), und Oberbürgermeisterin Margret
Mergen sagte spontan zu, ein Grußwort zu sprechen – in dem sie
unumwunden zugab, dass auch sie recht wenig über
das Judentum wusste – obwohl es doch bis auf die
grausame Nazizeit immer zu Baden-Baden gehörte und gehört. Auch wenn sie den meisten Besuchern der
abendlichen Informationsveranstaltung doch einiges voraus hatte, denn
im Geschäftsleben wird und wurde sie bereits häufiger mit speziellen kulturellen
Fragen dieser Art konfrontiert.
Der
Tag war in zwei Teile gegliedert: Ab 17 Uhr lockte das Laubhüttenfest
zum Erntedank mit einem großen Zelt mit Laubdach vor dem Kurhaus
zahlreiche Besucher an. Es gab koscheres Essen und Getränke,
mitreißende Gesangseinlagen und ebensolche Tänze.
Rabbiner
Surovtsev erklärte geduldig, was es mit den traditionellen
Laubhüttengaben Zitronatzitrone (Etrog), Dattelpalmzweig, Weidenzweig und Myrrhe auf
sich hatte.
Ab
19 Uhr verlagerte sich das Geschehen in den Gemeindesaal, wo
Rabbiner Surovtsev und Religionslehrer Markus Sternecker unter
Gesprächsleitung von Stefan Lutz-Bachmann geschlagene zwei Stunden
Rede und Antwort standen, so interessiert und wissensdurstig zeigte
sich das zahlreich erschienene Publikum.
Das lernte einiges, was man
sich so nie hätte vorstellen können: Dass Milch- und
Fleischprodukte so streng voneinander getrennt werden müssen, dass
ein Teller, auf dem aus Versehen beides landet, nur noch für den
Polterabend oder als Geschenk für Nachbarn anderer Religion taugt.
Dass man am Sabbat nichts tragen darf, weder Geld noch Fahrkarten, ja
noch nicht mal sein eigenes Baby – zumindest nicht im öffentlichen
Raum. Dass es durchaus auch eine „geile Sache“ sein kann,
wenigstens an einem Tag in der Woche mal – gezwungenermaßen –
das Handy ausgeschaltet zu lassen (bis auf seelsorgerische Notfälle).
Dass Wein in dem Moment koscher wird, in dem ein Rabbiner ihn
herstellt (und hier zeigte sich Rabbiner Surovtsev ein Herz für Weinliebhaber, hat er doch in einem Weingut im Murgtal geholfen und somit
ganz offiziell nun für koscheren Wein in der Gemeinde gesorgt (der
übrigens sehr trinkbar ist!).
Auch für gastfreundliche Nicht-Juden
hatte er einen Tipp, falls sie Schwierigkeiten haben, koscheres Essen
zu servieren (welches die Gemeindeglieder mit einiger Übung – es
gibt sogar spezielle Führungen für sie – in einem Supermarkt in
Baden-Baden, aber auch in Straßburg finden): Mit Kaffee, Obst und
Nüssen liegen Sie immer richtig! Wenn allerdings gekocht wird, dann wird es
schwierig. Das, so ergänzte Markus Sternecker daraufhin, übernähmen
daher gerne und lieber die Gemeindemitglieder selbst.
636
Gemeindeglieder zählt man derzeit in Baden-Baden, wobei ungefähr
ein Drittel aus Rastatt kommt. Nicht alle übrigens sind so orthodox
wie ihr Rabbiner, doch der trägt das mit Fassung. Manches müsse er
nicht wissen, meinte er und lachte herzlich. Überhaupt war wohl das
Fazit des Abends: Dass das Judentum gerne informiert, aber nicht
missioniert. Das sei nicht ihr Anliegen, hieß es. Gott wolle nun mal
die Vielfalt. - Nun, und davon gibt es reichlich in unserer bunten Stadt!
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