Mittwoch, 9. Mai 2018

Trotzdem leben!


Ein unvergesslicher Abend des Erinnerns

Trotzdem leben“ - wie treffend war dieser Titel für die Zentralveranstaltung der Mitmachtaktion „Baden-Baden liest ein Buch“ gewählt! Dieser Meinung waren alle Teilnehmer des Abends, den das Bündnis „Baden-Baden ist bunt“ zusammen mit dem Richard-Wagner-Gymnasium am 8. Mai organisiert hatte, und zu dem Witwe und Töchter Gerhard Durlachers eigens aus Amsterdam angereist waren.


Jessica Durlacher bei ihrer Lesung (Foto: M.Beck)

Der Zuspruch zu dieser Veranstaltung war groß, die Mittelebene der Schule war trotz zahlreicher anderer Veranstaltungen an diesem Tag und trotz des schönen Wetters gut gefüllt. Im Mittelpunkt stand natürlich Gerhard Durlacher und sein Buch „Ertrinken“, aber auch sein Leben als Familienvater. 



Seine Witwe Anneke Durlacher und zwei seiner Töchter, Jessica und Eva Durlacher, ließen in einem sehr persönlichen und emotionalen Gespräch mit der Historikerin und ARTE-Redakteurin Angelika Schindler immer wieder durchblicken, wie sehr der Vater und dessen nie ausgesprochene Erinnerungen das Familienleben geprägt hatten. Offen gab Mutter Anneke zu, dass sie es bedauere, ihren Kindern nicht die unbeschwerte Kindheit ermöglicht zu haben, die Kinder eigentlich haben sollte – wozu ja auch eine Auseinandersetzung mit dem Vater gehören würde. Das jedoch war im Hause Durlacher nicht möglich, immer wieder wurde auf den Vater unausgesprochen Rücksicht genommen. 

Anneke Durlacher (rechts) im Gespräch mit Angelika Schindler (Foto: M. Beck)


Dennoch fanden und machten ihre Töchter ihren Weg: Jessica, die zu Lebzeiten ihres Vater vergebens nach Worten rang, wurde nach seinem Tod zur erfolgreichen Schriftstellerin, die sich mit der Vergangenheit des Vater unermüdlich fiktiv auseinandersetzt, ihre Schwester Eva fand ihre Erfüllung in der Kunst. 


Eva und Jessica Durlacher (Foto: M.Beck)

 
Und alle rangen auch während dieses bewegenden Abends immer wieder mit der Fassung. Einen besonders tiefen Eindruck machte auf die zahlreichen Zuschauer ein kurzer Filmausschnitt, in dem ein Interview mit Gerhard Durlacher kurz vor seinem Tod gezeigt wurde. Er sprach darin sehr eindrücklich von dem „schwarzen Loch“ der Erinnerungen, über das man besser einen Vorhang des Vergessens und Schweigens hängen sollte, um nicht daran zu zerbrechen. Einige seiner Erinnerungen an die furchtbaren Erlebnisse des Auschwitzüberlebenden blitzten in der kurzen Interviewpassage auf und nahmen den Zuschauern von heute schier den Atem. 




Umrahmt wurden das denkwürdige Gespräch mit der Familie und die Lesung der Erfolgsautorin Jessica Durlacher von Auftritten der RWG-Schüler: Der Unterstufen-Theater-AG unter Leitung der engagierten Lehrerin Anke Flesch, der Klavierspielerin Diana Etzel aus der 9a und Julia Tscherkas und Edgar Schmidt vom Oberstufen-Literaturkurs.
Lehrer und Schüler sorgten mit großem Engagement dafür, dass alles wie am Schnürchen klappte. Der Leiter des RWG, Matthias Schmauder, erinnerte in seiner Begrüßungsrede an den 8. Mai 1945, das Ende des Faschismus. Oberbürgermeisterin Margret Mergen zeigte sich beeindruckt vom Engagement des Bündnisses „Baden-Baden ist bunt“.

Für einen ganz besonderen Moment des Innehaltens und Nachdenkens sorgte zudem der Kurzfilm „Ertrunken“ von Georg von Langsdorff. Der Regisseur und Produzent aus Baden-Baden berichtete, dass ihm beim Lesen von Gerhard Durlachers Buch plötzlich klar geworden sei, dass „wir als Bürger dieser Stadt völlig vergessen hatten, was Ende der 30er Jahre hier passiert ist. Jeden Tag laufen wir an Orten vorbei, an denen sich schlimme Dinge abgespielt haben. Und wir haben es entweder vergessen oder wissen das überhaupt nicht.“ So habe er sich auf eine filmische Spurensuche begeben und die Schauplätze aus dem Buch gesucht. Sein Film erinnert nun daran, dass zum Beispiel das Fischgeschäft in der Gernsbacher Straße einst der Großmutter von Gerhard Durlacher gehörte, die dort Handel mit Möbeln betrieb. „Ich will auf das Vergangene hinweisen, es soll sich unterbewusst festsetzen und immer dann kurz aufblitzen, wenn sich einer eine Fischsemmel holt“, wünschte er sich. 




Der Film ist ab sofort auf www.Badisches.de zu sehen, und => hier ist der Film ebenfalls verlinkt. Vielleicht findet er auf diese Weise auch in die Klassenzimmer der Baden-Badener Schulen? Denn der für von Langsdorff wichtigste Satz sei am Mahnmal für den Holocaust am Ende der Sophienstraße zu finden: „Das Geheimnis der Versöhnung liegt in der Erinnerung“.

Für dieses Erinnern setzt sich auch das Bündnis „Baden-Baden ist bunt“ ein und wird in den nächsten Wochen und Monaten weiterhin mit vielen Aktionen dafür sorgen, dass sich die Stadt an das Schicksal ihrer jüdischen Bürger erinnert. Hier geht es zum weiteren Programm => KLICK 

Schon heute geht es weiter: Um 19.05 Uhr wird auf SWR2 mit dem Titel "Schatten einer jüdischen Kindheit in Baden-Baden" ein Interview mit Jessica und Anneke Durlacher gesendet. Hier der Link zur 30minütigen Aufzeichnung => KLICK