Rollenbiografie
zur Figur des Oberlehrers Kreis
Im
Zuge des Deutschunterrichts beschäftigte sich die Klasse 8 b des
Gymnasiums Hohenbaden in Form von Rollenbiografien mit dem Buch
„Ertrinken“ von Gerhard Durlacher.
Ein
besonders beeindruckendes Beispiel hierfür ist die Arbeit von Felix
Vogt, die der Schüler im September vor großen Publikum vortrug und
viel Beifall dafür erntete. Hier sein Text im Wortlaut:
Rollenbiografie
zur Figur des Oberlehrers Kreis
Ich
bin Oberlehrer Kreis der Adolf- Hitler- Schule in Baden- Baden. Ich
bin bereits älter und habe noch wenige Jahre bis zur Rente. Als
Lehrer unterrichte ich die Schüler der Schule in Mathematik, Deutsch
und Sport. Meine Arbeit gefällt mir gut, da ich es mag, kleinen
Kindern Wissen beizubringen und an ihrem Leben teilzuhaben.
Allerdings beunruhigen mich die jüngsten Entwicklungen. Gerade die
Jungen, die wie Nazis denken, sind gefährlich und antisemitische
Beleidigungen haben stark zugenommen. Ich bin mit meinem Gehalt
zufrieden, da es für das Wesentliche ausreicht und meine Frau und
ich uns eine geräumige Wohnung und regelmäßige Badbesuche leisten
können. Ich lebe mit meiner Frau in der Sophienstraße, unweit von
der Schule entfernt. Unser einziger Sohn hat leider kein gutes
Verhältnis zu uns, da er selbst Nazi ist und uns verabscheut.
Ich
bin kein Nationalsozialist und teile deren Ansichten auch nicht.
Trotzdem verstelle ich mich in der Schule, da ich sonst große
Probleme bekomme. Mein eigener Unterricht widert mich an. Ich täte
nichts lieber, als Leo Wohleb zu folgen und die Adolf- Hitler- Schule
vor den Nazis zu immunisieren. Doch Fritz’ Vater ist ein hohes
Parteimitglied der Nazis. Ich habe Angst, selbst deportiert zu
werden, daher verstelle ich mich und lasse das Horst-Wessel-Lied
singen. In der Klasse 1a sind auch zwei Juden namens Gerhard und
Walter. Ich bemitleide sie, traue mich jedoch nicht, ihnen zu helfen
oder sie vor Unheil zu bewahren. Ich habe Fritz bestraft, als er
Gerhard beleidigt hat, doch sein Vater hat mir gedroht, er werde mich
ausliefern, wenn ich diesem „Drecksjuden“ helfe. Ich habe
furchtbare Angst. Das Verstellen, der Anblick der Klasse, die mit
sauber gewichsten Schuhen, gebügelten Hemden und Koppeln vor mir
steht und mit dem Hitlergruß grüßt, lässt mich schaudern. Tag für
Tag zu sehen, wie Juden misshandelt werden, ist für mich eine Qual.
Und trotzdem unternehme ich nichts dagegen, weil die Sorge um mein
Leben größer ist als die Kenntnis, dass täglich schuldlos Juden
durch den Wahn nach einem Nationalstaat, durch die Euphorie für
einen Mörder, für Adolf Hitler, hingeschlachtet werden, wie
Schweine auf einem Schlachthof. Doch ich unternehme nichts gegen all
das, ich rolle mich zusammen wie ein Igel und warte, bis alles vorbei
ist. Ich fühle mich wie ein Staudamm, der in den Wogen bricht. Ich
will all das nicht mehr hören, nicht mehr sehen, nicht mehr ertragen
müssen. Und deshalb wünsche ich mir, dass das alles bald ein Ende
nimmt, dass Juden, die nichts dafür können, nicht weiter verhöhnt
werden, dass Deutschland zur Vernunft kommt und befreit wird von dem
Parasiten, der sich in unseren Köpfen eingeschleust hat, Krieg und
Hass seien erstrebenswert. Denn Krieg bringt nur Verluste und es kann
nur Verlierer geben. Auch wenn ich wahrlich nicht sehr gläubig bin,
so schaue ich nun zum Himmel auf und bete, dass dieses Unheil nun
enden solle. Und wie schon Immanuel Kant gesagt hat, so bedienet euch
eures Verstandes und beginnt zu denken. Ich möchte wieder mein Leben
so leben, dass ich frei bin und nicht zu bangen brauche, irgendetwas
gesagt oder getan zu haben, was mir zum Verhängnis wird.
Und
ich weiß, ich bin keinen Deut besser als die Nazis, ich scheine ja
auch einer zu sein. Aber ich hoffe, dass man mich richtig sieht, als
einen, der das alles gar nicht will, als einen, der von Grund auf die
Demokratie leben will und als einen, der nie Juden oder andere
kulturell Motivierte ihrer Religion wegen diskriminieren würde.
Alles, was man von mir weiß, und wie ich mich verhalte, ist eine
Maske des Meinigen, ein angelegter Schutzschild, der meine wahren
Gedanken vertuscht. Man möge mir vergeben, was ich getan habe. Nicht
der feste Glaube daran veranlasst mich so zu handeln, sondern eine
Angst, eine Starre, eine Fassungslosigkeit im tiefsten Inneren meines
Herren.
Felix
Vogt, Klasse 8b
Gymnasium
Hohenbaden, Baden-Baden