Donnerstag, 29. November 2018

Oberlehrer Kreis

Rollenbiografie zur Figur des Oberlehrers Kreis
 
Im Zuge des Deutschunterrichts beschäftigte sich die Klasse 8 b des Gymnasiums Hohenbaden in Form von Rollenbiografien mit dem Buch „Ertrinken“ von Gerhard Durlacher.
Ein besonders beeindruckendes Beispiel hierfür ist die Arbeit von Felix Vogt, die der Schüler im September vor großen Publikum vortrug und viel Beifall dafür erntete. Hier sein Text im Wortlaut:


Rollenbiografie zur Figur des Oberlehrers Kreis

Ich bin Oberlehrer Kreis der Adolf- Hitler- Schule in Baden- Baden. Ich bin bereits älter und habe noch wenige Jahre bis zur Rente. Als Lehrer unterrichte ich die Schüler der Schule in Mathematik, Deutsch und Sport. Meine Arbeit gefällt mir gut, da ich es mag, kleinen Kindern Wissen beizubringen und an ihrem Leben teilzuhaben. Allerdings beunruhigen mich die jüngsten Entwicklungen. Gerade die Jungen, die wie Nazis denken, sind gefährlich und antisemitische Beleidigungen haben stark zugenommen. Ich bin mit meinem Gehalt zufrieden, da es für das Wesentliche ausreicht und meine Frau und ich uns eine geräumige Wohnung und regelmäßige Badbesuche leisten können. Ich lebe mit meiner Frau in der Sophienstraße, unweit von der Schule entfernt. Unser einziger Sohn hat leider kein gutes Verhältnis zu uns, da er selbst Nazi ist und uns verabscheut.
Ich bin kein Nationalsozialist und teile deren Ansichten auch nicht. Trotzdem verstelle ich mich in der Schule, da ich sonst große Probleme bekomme. Mein eigener Unterricht widert mich an. Ich täte nichts lieber, als Leo Wohleb zu folgen und die Adolf- Hitler- Schule vor den Nazis zu immunisieren. Doch Fritz’ Vater ist ein hohes Parteimitglied der Nazis. Ich habe Angst, selbst deportiert zu werden, daher verstelle ich mich und lasse das Horst-Wessel-Lied singen. In der Klasse 1a sind auch zwei Juden namens Gerhard und Walter. Ich bemitleide sie, traue mich jedoch nicht, ihnen zu helfen oder sie vor Unheil zu bewahren. Ich habe Fritz bestraft, als er Gerhard beleidigt hat, doch sein Vater hat mir gedroht, er werde mich ausliefern, wenn ich diesem „Drecksjuden“ helfe. Ich habe furchtbare Angst. Das Verstellen, der Anblick der Klasse, die mit sauber gewichsten Schuhen, gebügelten Hemden und Koppeln vor mir steht und mit dem Hitlergruß grüßt, lässt mich schaudern. Tag für Tag zu sehen, wie Juden misshandelt werden, ist für mich eine Qual. Und trotzdem unternehme ich nichts dagegen, weil die Sorge um mein Leben größer ist als die Kenntnis, dass täglich schuldlos Juden durch den Wahn nach einem Nationalstaat, durch die Euphorie für einen Mörder, für Adolf Hitler, hingeschlachtet werden, wie Schweine auf einem Schlachthof. Doch ich unternehme nichts gegen all das, ich rolle mich zusammen wie ein Igel und warte, bis alles vorbei ist. Ich fühle mich wie ein Staudamm, der in den Wogen bricht. Ich will all das nicht mehr hören, nicht mehr sehen, nicht mehr ertragen müssen. Und deshalb wünsche ich mir, dass das alles bald ein Ende nimmt, dass Juden, die nichts dafür können, nicht weiter verhöhnt werden, dass Deutschland zur Vernunft kommt und befreit wird von dem Parasiten, der sich in unseren Köpfen eingeschleust hat, Krieg und Hass seien erstrebenswert. Denn Krieg bringt nur Verluste und es kann nur Verlierer geben. Auch wenn ich wahrlich nicht sehr gläubig bin, so schaue ich nun zum Himmel auf und bete, dass dieses Unheil nun enden solle. Und wie schon Immanuel Kant gesagt hat, so bedienet euch eures Verstandes und beginnt zu denken. Ich möchte wieder mein Leben so leben, dass ich frei bin und nicht zu bangen brauche, irgendetwas gesagt oder getan zu haben, was mir zum Verhängnis wird.
Und ich weiß, ich bin keinen Deut besser als die Nazis, ich scheine ja auch einer zu sein. Aber ich hoffe, dass man mich richtig sieht, als einen, der das alles gar nicht will, als einen, der von Grund auf die Demokratie leben will und als einen, der nie Juden oder andere kulturell Motivierte ihrer Religion wegen diskriminieren würde. Alles, was man von mir weiß, und wie ich mich verhalte, ist eine Maske des Meinigen, ein angelegter Schutzschild, der meine wahren Gedanken vertuscht. Man möge mir vergeben, was ich getan habe. Nicht der feste Glaube daran veranlasst mich so zu handeln, sondern eine Angst, eine Starre, eine Fassungslosigkeit im tiefsten Inneren meines Herren.


Felix Vogt, Klasse 8b

Gymnasium Hohenbaden, Baden-Baden