Donnerstag, 27. September 2018

Jüdisches Leben


Viele Fragen - viele Anworten
... und manchmal wird es kompliziert

Auf eine wunderbare offene und breite Resonanz stieß während der interkulturellen Woche das Angebot der israelitischen Kultusgemeinde in Baden-Baden, das heutige Leben der Juden in der Stadt, ihre Religion und ihren Alltag kennenzulernen. 

 
Das Bündnis „Baden-Baden ist bunt“ gab im Rahmen der stadtweiten Aktion „Baden-Baden liest ein Buch“ den Anstoß, und die Kultusgemeinde griff die Idee sofort begeistert auf. Rabbiner Daniel Naftoli Surovtsev und seine umtriebige Büroleiterin Irina Grinberg machten sich umgehend an die Vorbereitungen, und man stieß überall in der Stadt auf offene Türen: Die Philharmonie ermöglichte mit dem „Trio Brahms Plus“ einen wunderbaren musikalischen Rahmen des Abends, 




das Kurhaus genehmigte das Aufstellen einer Laubhütte mitten in den Kolonnaden (zum ersten Mal!), und Oberbürgermeisterin Margret Mergen sagte spontan zu, ein Grußwort zu sprechen – in dem sie unumwunden zugab, dass auch sie recht wenig über das Judentum wusste – obwohl es doch bis auf die grausame Nazizeit immer zu Baden-Baden gehörte und gehört. Auch wenn sie den meisten Besuchern der abendlichen Informationsveranstaltung doch einiges voraus hatte, denn im Geschäftsleben wird und wurde sie bereits häufiger mit speziellen kulturellen Fragen dieser Art konfrontiert.




Der Tag war in zwei Teile gegliedert: Ab 17 Uhr lockte das Laubhüttenfest zum Erntedank mit einem großen Zelt mit Laubdach vor dem Kurhaus zahlreiche Besucher an. Es gab koscheres Essen und Getränke, mitreißende Gesangseinlagen und ebensolche Tänze. 








Rabbiner Surovtsev erklärte geduldig, was es mit den traditionellen Laubhüttengaben Zitronatzitrone (Etrog), Dattelpalmzweig, Weidenzweig und Myrrhe auf sich hatte.




Ab 19 Uhr verlagerte sich das Geschehen in den Gemeindesaal, wo Rabbiner Surovtsev und Religionslehrer Markus Sternecker unter Gesprächsleitung von Stefan Lutz-Bachmann geschlagene zwei Stunden Rede und Antwort standen, so interessiert und wissensdurstig zeigte sich das zahlreich erschienene Publikum. 

Das lernte einiges, was man sich so nie hätte vorstellen können: Dass Milch- und Fleischprodukte so streng voneinander getrennt werden müssen, dass ein Teller, auf dem aus Versehen beides landet, nur noch für den Polterabend oder als Geschenk für Nachbarn anderer Religion taugt. Dass man am Sabbat nichts tragen darf, weder Geld noch Fahrkarten, ja noch nicht mal sein eigenes Baby – zumindest nicht im öffentlichen Raum. Dass es durchaus auch eine „geile Sache“ sein kann, wenigstens an einem Tag in der Woche mal – gezwungenermaßen – das Handy ausgeschaltet zu lassen (bis auf seelsorgerische Notfälle). Dass Wein in dem Moment koscher wird, in dem ein Rabbiner ihn herstellt (und hier zeigte sich Rabbiner Surovtsev ein Herz für Weinliebhaber, hat er doch in einem Weingut im Murgtal geholfen und somit ganz offiziell nun für koscheren Wein in der Gemeinde gesorgt (der übrigens sehr trinkbar ist!). 

Auch für gastfreundliche Nicht-Juden hatte er einen Tipp, falls sie Schwierigkeiten haben, koscheres Essen zu servieren (welches die Gemeindeglieder mit einiger Übung – es gibt sogar spezielle Führungen für sie – in einem Supermarkt in Baden-Baden, aber auch in Straßburg finden): Mit Kaffee, Obst und Nüssen liegen Sie immer richtig! Wenn allerdings gekocht wird, dann wird es schwierig. Das, so ergänzte Markus Sternecker daraufhin, übernähmen daher gerne und lieber die Gemeindemitglieder selbst.



636 Gemeindeglieder zählt man derzeit in Baden-Baden, wobei ungefähr ein Drittel aus Rastatt kommt. Nicht alle übrigens sind so orthodox wie ihr Rabbiner, doch der trägt das mit Fassung. Manches müsse er nicht wissen, meinte er und lachte herzlich. Überhaupt war wohl das Fazit des Abends: Dass das Judentum gerne informiert, aber nicht missioniert. Das sei nicht ihr Anliegen, hieß es. Gott wolle nun mal die Vielfalt. - Nun, und davon gibt es reichlich in unserer bunten Stadt!

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